Ich bin selbst noch ganz bewegt von Dolimas Worten zu ihrem Einzug bei uns. In diesem Kapitel möchte ich (auch mal wieder) zu Wort kommen. Wie ist das eigentlich, wenn ein Hund aus dem Tierschutz zu dir kommt?
Aus menschlicher Sicht stellen sich viele vor, dass wir dem „armen, armen“ Tierschutzhund nun ein sicheres zu Hause schenken, dass er regelmäßig Futter und einen warmen Schlafplatz bekommt und natürlich gaaaaaanz viel Liebe. Und dafür „muss“ der Hund doch auch richtig dankbar sein und auch den Menschen mit ganz viel Liebe überschütten. Das ist die Wunschvorstellung, das Idealbild von vielen Menschen. Doch die Realität sieht zu 90 % anders aus.
Bevor Dolima zu uns kam, überlegte ich mir immer wieder, wie ein Hund diese ganzen Veränderungen wohl empfinden mag. Zuerst irgendwo eingefangen, dann auf kleinem Raum untergebracht, lange Reise zu einem neuen Ort mit noch mehr fremden Hunden, dann eventuell noch eine Unterbringung in einer Pflegefamilie, bis dann die Reise bei der zukünftigen Familie endet. So oder so ähnlich klingen viele Geschichten von Hunden aus dem Tierschutz. (und auch die von Dolima)
Ich stellte es mir dann folgendermaßen vor: eine fremde Person entreißt mich aus meinem alltäglichen Umfeld. Ich werde in ein anderes Land gebracht, wo ich niemanden kenne. Auch sind mir dort die Sprachen, Gesten und Traditionen absolut unbekannt. Ich weiß nicht was von mir in verschiedenen Situationen erwartet wird und muss mich erstmal irgendwie zurechtfinden. Was würde mir persönlich in solch einer Situation helfen? Menschen, die klar und freundlich mit mir in den Kontakt treten. Ruhe, damit ich alles beobachten kann und das am besten von einem geschützten, sicheren Bereich aus. Routine, damit ich genau weiß wann ich was machen darf, bzw. werde ich mein neues Umfeld besser verstehen können, wenn eine gewisse Verlässlichkeit erkennbar wird. Und mit der Zeit werde ich die Sprache immer sicherer verstehen und sprechen können, die Traditionen erschließen sich mir und ich kann dann auch Vertrauen aufbauen. (Möchtest du noch mehr zu diesem Thema lesen, dann lade dir gerne das Gratis eBook „Ein neues Tier zieht ein“ herunter. Das findest du auch auf meiner Webseite.)
Mit dieser Vorstellung hatte ich zumindest eine kleine Ahnung, wie sich Dolima in der ersten Zeit bei uns gefühlt haben musste. Jedoch fühlte sich nicht nur Dolima überfordert, sondern wir uns auch. Wir waren nun nicht nur „Ersthundemenschen“, sondern gleich auch noch mit einer Wundertüte konfrontiert. In mir kamen innerhalb der ersten Wochen viele Ängste hoch: Schaffe ich das alles? Werde ich Dolima gerecht? Kann ich so viel Verantwortung für ein Lebewesen wirklich erbringen? Was ist wenn ich Fehler mache? Ich fühlte mich leicht an eine Wochenbettdepression erinnert. Nervlich war ich fix und fertig. Dazu kam, dass ich an dem Einzugstag auch noch eine fette Erkältung bekam und bekanntlich bin ich in dieser Situation noch etwas sensibler unterwegs als sonst. Aber hey, wir haben einen Hund?! Von Anfang an war mir klar, gemeinsam schaffen wir das. Der Weg mag zwar manchmal holprig sein, aber alles ist machbar.
Mit der Pflegemutter sprachen wir ab, dass sie uns Dolima an diesem Vormittag zu uns bringt, ihr das neue Geschirr anlegt und wir dann gleich mit ihr eine Spazierrunde machen werden. Alle Beteiligten hatten das Gefühl, dass dies der etwas einfachere Weg für Dolima sei. Aber natürlich hatte niemand Dolima direkt gefragt. Ich war sehr erstaunt, welche Kraft diesem Hundekörper innewohnte. Sie zog wie ein Berserker. Nach vorn und von uns weg. Ich hatte Mühe die Leine wirklich sicher in der Hand zu behalten. Daher möchte ich an dieser Stelle auch gleich einen ganz wichtigen Impuls mitgeben: sichere deinen Tierschutzhund zu Beginn durch ein Sicherheitsgeschirr (aus diesem kann sich der Hund nicht allein rauswinden, wie Dolima es tat) und mache vorsichtshalber zwei Leinen ran. Eine längere Leine kannst du quer über deinen Oberkörper tragen und die andere hast du in deiner Hand. Durch unsichere Leinenführung und nicht gut sitzende Geschirre passiert es immer wieder, dass Hunde aus dem Tierschutz aus Panik weg laufen. Ich sehe bei uns im Ort immer wieder Zettel wo entlaufende (und meist ängstliche) Hunde gesucht werden. Nicht selten werden sie leider tot gefahren irgendwann aufgefunden. Dies kann wirklich verhindert werden. Durch die Sicherheitsleine um deinen Oberkörper ist dein Hund immer ausreichend abgesichert, selbst wenn dir deine Handleine aus Schreck mal aus der Hand fallen sollte.
Diese erste Gassirunde hatte uns drei enorm gefordert. Uns wurde nach und nach klar, dass Dolima diese ganzen neuen Reize noch nicht kennengelernt hatte. Radfahrer, Kinderwagen, Kinder, Rollatoren und viele Autos waren fremd für sie. Das hatten wir zu Beginn nicht bedacht. Und die nächsten Herausforderungen warteten ja schon zu Hause auf uns. Durch Türen gehen, Geschirr abmachen, Pfötchen mit Handtuch abwischen, dem Hund die „Hausregeln“ erklären und noch einiges mehr. Wo fängt man da an und wie geht man am besten vor? Intuitiv haben wir damals schon viel richtig gemacht. Einige andere Dinge würden wir mit unserem jetzigen Wissen ganz anders machen. Aber Fehler sind dafür da, um zu reflektieren und daraus zu lernen.
Wie eingangs beschrieben, haben wir den Aktionsradius von Dolima innerhalb der Wohnung sehr klein gehalten. Wir zeigten ihr wo ihr Bettchen im Wohnzimmer steht, dass in der Küche Wasser und Futter für sie bereit steht und im Schlafzimmer ihr Nachtlager auf sie wartet. Wir wollten nicht, dass sie die Wohnung auf eigene Faust erkundet. Sie sollte von Beginn an sich an uns orientieren. Dolima war aber zu müde, um überhaupt weiter Angst zu haben. Mit gefühlt letzter Kraft fiel sie in ihr Bettchen im Wohnzimmer und schleckte noch mit halb geschlossenen Augen unsere Hände. Ich war von diesem Moment so berührt, dass ich Dolima versicherte, dass wir niemals zulassen werden, dass ihr was Schlimmes passiert. Sie ist bei uns in Sicherheit und darf nun in Ruhe ankommen. Dazu gehört eine große Portion Schlaf. Dolima schlief in den ersten vierzehn Tagen bestimmt zwanzig Stunden am Tag. Dadurch können Hunde ihren Stress abbauen, neue Reize verarbeiten und sind dann in der Lage ausgeruht weiter zu lernen.
Ein Schritt nach dem Anderen, ein Pfötchen nach dem Anderen. Gemeinsam sind wir auf einem guten Weg. Wir meisterten noch viele weitere Herausforderungen, doch das wird Dolima in den nächsten Kapiteln erzählen.
Tierische Grüße, Jenny